Kapitel 11 meines Romans “Ein Macho als Muse”.
Viel Spaß, ab jetzt kommen Caleigh und Noah aus der Nummer nicht mehr raus.
Kapitel 11
Ohne einen weiteren Kommentar zu dieser unerwarteten Kuss-Eskalation abzugeben, rauschte Caleigh mit ihrer Beute davon.
Noah blieb auf dem Parkplatz zurück und rieb sich über das erhitzte Gesicht. „Mann, oh Mann … Was war das denn?“, fragte er sich leise und merkte, dass er dringend das dämliche Grinsen loswerden musste.
Er machte probeweise ein paar Schritte, um zu sehen, ob er geradeaus laufen konnte. Caleigh zu küssen, war eine Überdosis an Erregung gewesen, von der er erst einmal wieder runterkommen musste. Tief atmete er durch und trat den Rückweg zum Haus an.
Geschäftsmäßig gesehen hatte Noah ein simples Prinzip: Der Zweck heiligte die Mittel. Im Grunde war es ihm egal, wie er an sein Ziel kam, da er immer für die gute Sache arbeitete. Aber als er nun gen Sonnenuntergang auf das prächtige Gutshaus zulief, schlich sich der Zweifel von hinten an ihn heran, der bisher leise in ihm geflüstert hatte, nun aber immer lauter wurde. Denn wenn er ganz ehrlich mit sich war: Caleigh war anders. Vom ersten Augenblick an hatte sie ihn auf eine Art und Weise fasziniert, wie es noch nie zuvor eine Frau getan hatte. Im Laufe seines beruflichen Aufstieges hatte er schon weit fragwürdigere Schachzüge als einen Kuss gemacht, aber in der Vergangenheit hatte er nie einen Klienten gehabt, der ihm unter die Haut gegangen war wie Caleigh Winter.
Noah versuchte die Spannung aus seinen Schultern und seinem Nacken zu lösen, indem er mit Kopf kreiste. Und gerade als er das Landhaus betrat, fasste er den Beschluss, professionell zu bleiben – er durfte das Ziel nicht aus den Augen verlieren! Es gab Wichtigeres, als seine Gefühle … Und auch, wenn Caleigh es nicht glaubte, Professionalität stand für ihn ganz weit oben auf der Liste seiner Werte.
Vivi fing ihn an der Rezeption ab. „Hey, Noah.“
Ihre schnarrende, schläfrige Stimme erinnerte ihn an den altersschwachen Lautsprecher im Schwimmbad seiner Jugend. „Vivi. Was gibt’s?“ Etwas verlegen strich er sich durch die Haare, die Caleigh eben durchwühlt hatte – ob die Seminarleiterin sie noch gesehen hatte und nun wusste, dass sie zusammen vor der Tür gewesen waren? Innerlich zuckte er jedoch mit den Schultern – eigentlich konnte ihm egal sein, was andere über seine Angelegenheiten mit Caleigh dachten.
„Wir wollten in zehn Minuten mit dem Reinigungsritual beginnen. Wo ist deine Team-Partnerin? Gerade für euch ist es wichtig, damit ihr den Survival-Abschnitt gut übersteht.“
„Ich hole Caleigh eben. Dann sind wir gleich da.“ Den abendlichen Seminarpunkt hatte er über sein kleines Parkplatz-Rendezvous ja vollkommen vergessen …
„Wir sind schon alle im Garten.“
Noah nickte Vivi freundlich zu und eilte in die erste Etage hinauf, wo er Caleigh mit ihrer Kriegsbeute vermutete.
Er lag richtig. Schon von weitem hörte er ihre entrüstete Stimme – der Kuss schien nicht nur ihn aufgewühlt zu haben …
„Ich muss aber zurückkommen! Elfi! Ich verliere den Verstand!“
Stille folgte, in der er glaubte, ihre Verwirrung und Verzweiflung beinahe am eigenen Leibe zu spüren.
„Bitte, gib mir noch eine letzte Chance, Elfi!“
Noah schüttelte den Kopf – Elfriede hatte in Bezug auf ihre hochkarätigste Angestellte längst die Geduld verloren und laut ihrer Aussage hatte Caleigh schon viel zu viele ‚letzte Chancen‘ bekommen. Mit ihrem Flehen würde sie bei ihrer Chefin also auf Granit beißen.
„Es ist ernst! Ich erkenne mich nicht mehr wieder.“
Noah schmunzelte leicht – so ging es nicht nur ihr. Auch er beobachtete Verhaltensweisen an sich, die er vor Caleigh nicht von sich gekannt hatte. Er verspürte Zuneigung zu ihr. Und Reue, weil er ihr gegenüber aus wichtigen Gründen nicht vollkommen ehrlich sein konnte. Dabei war gerade so etwas Kurzsichtiges wie Reue absolut untypisch für ihn …
„Dieses Seminar ist totaler Humbug – die Zeitverschwendung nimmt gerade epische Ausmaße an!“
Noah lehnte sich an den Türrahmen. Caleighs unumstößliche Überzeugung, dass sich neuen, vielleicht auch sinnlosen Dingen zu öffnen, reine Zeitverschwendung sei, machte deutlich, wie festgefahren sie tatsächlich in ihrem Denken war. Sie saß auf der Lauer, immer bereit sich zu verteidigen – Noah hatte schon viele Künstler kennengelernt, die sich aufgrund einer Schaffenskrise so verhielten … und als psychologischer Berater hatte er sie erfolgreich therapiert.
„Natürlich habe ich noch kein neues Kapitel geplottet!“ Caleighs Stimme war eine Oktave höher gerutscht. „Nein, ich habe auch noch keine Idee für den Clou des neuen Mermaid-Bandes …“ Caleigh stöhnte genervt, als hätte Elfriede am anderen Ende der Leitung genau ins Schwarze getroffen. „Dazu wird es aber auch nicht kommen an diesem Ort! Ich kann hier nicht denken!“
Noah horchte auf, denn das war genau das, was er mit seinem Verhalten erreichen wollte: Caleigh am rationalen Denken hindern. Sein Plan war darauf ausgelegt, sie zu ihrer Spontanität zurückzubringen, ihr Künstlerherz wieder für die Welt zu öffnen – das war unabdingbar für eine Geschichtenschreiberin. Denn Caleigh war weit mehr als eine Lektorin, die bereits verfasste Texte nur korrigierte. Sie betreute im Weltwechsel Verlag drei eigene Buchreihen, deren Charaktere und Handlungsverläufe aus ihrer Feder stammten.
„Was soll das heißen: Meine Vermeidungsstrategien funktionieren nicht mehr?“, rief Caleigh in diesem Augenblick in das Telefon hinein.
Bei seiner Anstellung als freier Künstler-Berater in Elfriedes Verlag hatte sie ihm Caleighs Verhalten beschrieben, ihm erklärt, wie sie sich ihren Aufträgen entzog, wie sie alles zerdachte – angefangen hatte alles mit den schlechten Rezensionen, die sie seit einem halben Jahr immer wieder von einem anonymen Leser bekam.
„Ich schwöre dir, Elfi, dieses Wochenende ist ein Griff ins Klo! So eine bescheuerte –“ Caleigh brach ab, schnappte lautstark nach Luft. „Elfi? Elfriede?“
Ihre Chefin hatte offensichtlich aufgelegt.
„Verdammt!“, fluchte Caleigh.
Noah wollte gerade höflich anklopfen, als von innen ein riesiger Lärm ertönte und Caleigh erstickt aufschrie. In Nullkommanichts hatte er die Tür aufgerissen und fand seine Team-Partnerin in der Hocke vor einer zerdepperten Glasvase vor. Sie hielt ihre Hand umschlungen.
„Hast du dich geschnitten?“ Hastig lief er zu ihr und sah sich die Verletzung an.
„Hast du an meiner Tür gelauscht?“
„Ja.“ Er ergriff ihren Arm und zog sie hoch. „Komm mit. Ich habe einen Erste-Hilfe-Kasten in meinem Zimmer.“
Zum ersten Mal gab Caleigh keine aufmüpfige Antwort, sondern folgte ihm mit betroffenem Blick. „Ich kann kein Blut sehen“, murmelte sie und lehnte sich beim Laufen etwas stärker an ihn, als es von einer Frau ihres Kalibers zu erwarten gewesen wäre.
„Schon okay, ich hab dich“, gab Noah zurück und schlang einen Arm um ihre Taille.
In seinem Badezimmer angekommen, verfrachtete er Caleigh an die Wand neben dem Waschbecken und zog ihre Hand unter den kühlen Wasserstrahl.
„Ist nicht tief“, sagte er beruhigend, als er die Verletzung begutachtet hatte.
„Hört es gleich auf zu bluten?“
„Mit Sicherheit, Pocahontas.“
In ihre Augen kam das Feuer zurück, das er so an ihr mochte. „Pocahontas? Habe ich irgendwas verpasst?“
„Na, Indianer kennen keinen Schmerz und wer in Anbetracht einer definitiv tödlichen Wunde so tapfer ist wie du, muss ein Indianer sein.“
Caleigh rollte mit den Augen. „Wer den Schaden hat, muss für den Spott nicht sorgen.“ Sie wagte einen vorsichtigen Blick auf ihre Hand, sah aber schnell wieder weg, weil das über die Verletzung fließende Wasser immer noch etwas rosa gefärbt war, und murmelte: „Deine Frechheit sagt mir, du hast keine Schwächen – lass dich also besser nicht mit einer erwischen.“
Noah wackelte mit den Augenbrauen und grinste, doch innerlich krümmte er sich. Doch … er hatte Schwächen. Caleigh höchstpersönlich hatte sich als eine entpuppt. Und dann war da noch Tim. Sein Bruder war immer einer seiner wunden Punkte gewesen. Bis zu dem Tag ihres kompletten Zerwürfnisses. Seitdem war Tim nicht mehr nur eine Schwäche, sondern seine Achillesferse.
Er stellte den Wasserhahn aus und nahm ein frisches, dunkles Handtuch, um vorsichtig Caleighs Hand abzutupfen.
„Danke“, sagte sie leise, als er etwas später ein Mulltuch auf die Wunde legte und sanft einen Verband um ihre Hand wickelte.
Er sah zu ihr auf und wurde von der Tiefe ihrer Augen mitgerissen. Wie in einem Strudel gingen seine Gedanken an frühere Streitereien mit seinem Bruder in ihrem Blick unter. Geschmeidig machte er einen Schritt auf sie zu, hob eine Hand zu ihrer Wange und streichelte bedächtig ihre seidene, kaffeebraune Haut.
Ich muss es irgendwie schaffen, mehr Abstand zu wahren, dachte er noch, als er langsam, aber sicher die Distanz zu ihr verringerte.
Auch in Caleighs Augen schimmerte Unsicherheit mit einem Hauch von Zweifel auf, aber sie legte dennoch ihren Kopf ein Stück nach hinten, als könne sie sich genau wie er der starken Anziehungskraft zwischen ihnen nicht entziehen.
Dann war Widerstehen nicht einmal mehr denkbar, sodass Noah seinen hungrigen Mund auf ihren schönen Hals presste und ihren Körper gegen die Wand drückte. In ihrer Nähe war er einfach nicht mehr Herr über seinen Willen …
„Oh!“, entfuhr es Caleigh, als er sich zwischen ihre Schenkel drängte, um noch näher bei ihr zu sein, um ihren Duft besser genießen zu können, um ihr weibliches Vibrieren zu spüren.
Ihr Geschmack war köstlich, ein wenig salzig, ein wenig süß und verlockend weich fühlte sich ihr Hals unter seinen forschenden Lippen an. In ihr schwelgend küsste er eine Spur bis hinauf zu ihrer Wange, um dann langsam ihren Mund zu erobern.
Doch ehe er den wundersamen Kuss vom Parkplatz fortsetzen konnte, seufzte Caleigh schwer. „Wir sollten aufhören …“
Noah öffnete die Augen ein Stück – er wollte nicht, dass der Zauber dieses Momentes brach, aber die Besorgnis in ihrer Stimme weckte ihn unwiderruflich aus seiner Lust auf mehr Zärtlichkeiten auf.
„Ich glaube, das ist keine gute Idee“, flüsterte sie.
Er brauchte einen kurzen Augenblick, um sich zu sammeln. „Nein. Du hast recht“, brachte er dann mühselig hervor.
Sie entschlüpfte ihm.
Verlegen strich Noah sich die Haare aus der Stirn, räusperte sich und lockerte seine zum Bersten gespannten Oberschenkel. Dann hatte er die Kraft, sich zu ihr umzusehen. Sie sah wunderschön aus – leichte Röte lag auf ihren Wangen und der Atem hob und senkte ihre Brust etwas schneller als gewöhnlich.
Der Impuls ein bewunderndes Kompliment auszusprechen, blieb ihm im Halse stecken. Eigentlich sagte er immer, was er dachte. Das gehörte normalerweise zu seinem Umgang mit Klienten. Aber bei Caleigh schienen seine üblichen Arbeitsmechanismen zu versagen. Er wollte nicht, dass sie seine Verwirrung zu deutlich spürte, und brach den Blickkontakt zu ihr ab. Als er an ihr vorbeiging, um das Bad zu verlassen, sah er, wie sie an ihrem Verband herumnestelte.
„Alles gut, mit deiner Hand?“, wollte er wissen. „Vielleicht sollten wir doch –“
„Nein, alles in Ordnung“, unterbrach sie seinen Vorschlag, doch zur Notaufnahme zu fahren. „Du hast mich gut verarztet.“
Sie lächelte schließlich und brachte das Eis, das gerade noch die feinen Bande zwischen ihnen bedroht hatte, zum Schmelzen. Erleichtert nickte Noah und schenkte ihr ein Lächeln zurück.
Caleigh Winter war wärmer und liebevoller, als ihre kühle Fassade glauben machte. Und wenn er seinen Job erledigt hatte, dann würde von ihren alten, einengenden Mauern nichts mehr stehen.
Noah holte das Satelliten-Telefon aus Caleighs Zimmer, um es Vivi zurückzugeben. Dann gingen sie hinaus in den Garten und während sie schweigend nebeneinander herliefen, spürte er, dass Caleigh zu helfen, längst kein rein berufliches Interesse mehr war – die Geschichtenschreiberin mit Ausnahmetalent und Schreibblockade war zu einer Herzensangelegenheit geworden.